„Eine Krise in Europa könnte den USA wehtun“

Seit fast 20 Jahren gibt John Mauldin seinen wöchentlichen Newsletter „Thoughts from the Frontline“ heraus. Seine größte Sorge ist derzeit das, was er als „the Great Reset“ bezeichnet: den Zeitpunkt, an dem unsere Schulden so groß werden, dass wir sie auf null zurücksetzen müssen. Nur wenige Investoren sind seiner Meinung nach auf dieses Szenario vorbereitet.

Mit John Mauldin sprach Ina Lockhart

leitwolf: Herr Mauldin, durch Ihren Newsletter, in dem Sie regelmäßig Ihre Sicht über die Wirtschaft und die Kapitalmärkte in der Welt auf den Punkt bringen, ist Ihr Name zu einer Marke in der Finanzbranche geworden. Wann haben Sie Ihre ersten „Thoughts from the Frontline“ herausgegeben?

John Mauldin: Im Jahr 2000 habe ich angefangen, meinen Newsletter zu versenden – print und online. Nur wenige Jahre nach dem Start des Newsletters habe ich die Printausgabe eingestellt. Ehrlich gesagt war das die beste wirtschaftliche Entscheidung, die ich jemals getroffen habe.

leitwolf: Sie haben den Großteil Ihres Lebens mit Schreiben verbracht. Wie kam es zu dieser Leidenschaft?

John Mauldin: Ich habe mich schon immer für das Schreiben begeistert. Auch Science-Fiction-Romane habe ich verschlungen. In meiner frühen Karriere habe ich über verschiedene Themen geschrieben, in den 1980er-Jahren habe ich mich dann mehr auf Finanzthemen fokussiert. Mitte der 1990er habe ich schließlich meine eigene Stimme und meinen eigenen Stil gefunden.

leitwolf: Ihrem Newsletter haben Sie den Titel „Thoughts from the Frontline“ gegeben. Allerdings sind Sie in Texas geboren, haben dort studiert und sind all die Jahre dort geblieben – auch beruflich. Sie haben also niemals an der Wall Street gearbeitet – in einer Bank oder einer ähnlichen Organisation. Wie können Sie dann für sich beanspruchen, mitten im Geschehen zu sein?

John Mauldin: Ja, ich habe immer in Texas innerhalb eines Radius von 50 bis 60 Meilen gelebt. Und es stimmt auch, dass ich immer selbstständig tätig war. Allerdings war und bin ich immer noch viel auf Reisen. Kreuz und quer in der ganzen Welt. Nach Europa reise ich mehrere Male im Jahr, was mich zu einem sehr untypischen Amerikaner macht. Dank meines beruflichen und persönlichen Netzwerks, das ich über Jahrzehnte aufgebaut habe, bin ich gut verdrahtet.

leitwolf: Ihr Name wird vor allem mit Mauldin Economics in Verbindung gebracht – ein Finanznewsletter und ein kleiner Verlag, den Sie 2012 gegründet haben. Was genau ist Ihre Rolle heute?

John Mauldin: Ich bin Chairman von Mauldin Economics. Das ist nicht nur ein Verlag, sondern auch der Veranstalter der „Strategic Investment Conference“, einem Jahrestreffen von führenden und visionären Ökonomen und Analysten. Mauldin Economics selbst ist ein Netzwerk aus sechs Research-Analysten, die in den USA und Asien beheimatet sind. Als COO leitet Ed D’Agostino das Team. Die Analysten stellen ihre Investmentideen in Form eines Abonnements für Kunden zur Verfügung.

leitwolf: Wie genau sieht das „John-Mauldin-Geschäftsmodell“ aus? Verwalten Sie selbst Investorengelder?

John Mauldin: Mein Geschäftsmodell ist ein Mix aus Produkten und Dienstleistungen, die mir Spaß machen und die erfolgreich sind. Dazu gehören etwa mein Verlag, meine regelmäßigen Auftritte auf Konferenzen und meine Tätigkeit für die CMG Capital Management Group, die ich erst vor Kurzem begonnen habe. CMG bietet ein Investmentprodukt unter meinem Namen an. Ich verwalte keine Investorengelder, jedoch vermittele ich Investoren an Broker oder Berater und werde dafür an den Gebühreneinnahmen beteiligt.

leitwolf: „The Year of Living Dangerously“, „Debt Alarm Ringing“ und „European Threats“ sind nur ein paar der Headlines Ihrer jüngsten Newsletterausgaben. Was beunruhigt Sie am meisten?

John Mauldin: Meine größte Sorge ist das, was ich als „the Great Reset“ bezeichne. Damit meine ich den Zeitpunkt, an dem unsere Schulden so groß und mächtig werden, dass wir sie nicht mehr länger ignorieren können und sie auf null zurücksetzen müssen. In Wirklichkeit ist das ein Problem für alle entwickelten Länder dieser Welt. Nach der nächsten Rezession, die sich für das nächste Jahr oder in zwei Jahren abzeichnet, kann die weltweite Gesamtverschuldung bis Mitte der 2020er-Jahre leicht auf 500 Billionen Dollar ansteigen. Irgendwann müssen wir uns diesen Schulden stellen und mit ihnen irgendwie umgehen. Investoren wollen dies aber nicht wahrhaben. Sie glauben, dass Zentralbanken und Regierungen weiterhin alles dafür tun werden, um die Kontrolle zu behalten.

leitwolf: Gibt es eine Gefahr, die sehr bald droht?

John Mauldin: Kurzfristig würde ich mir Sorgen über eine Krise in Europa machen. Viele glauben, dass Griechenland eine Krise war. Doch das stimmt nicht. Das war einfach nur Griechenland. Italien ist dagegen eine potenzielle Krise – und ein Problem. Der Brexit beherrscht derzeit alle und alles. In Deutschland droht eine Rezession. Die ganze Welt ist gut vernetzt, was bedeutet, dass eine Krise in Europa sehr wohl den USA und allen anderen wehtun könnte.

leitwolf: Warum glauben Sie, dass uns eine große Krise bevorsteht?

John Mauldin: In den vergangenen 20 Jahren hat die Verschuldung der Schwellenländer um das Achtfache zugenommen. Die Schulden wachsen viel schneller als die Wirtschaft. Wir haben keine Wirtschaftszyklen mehr, sondern Schuldenzyklen. Die Unternehmen sind stärker verschuldet, als sie es vor den großen Krisen der vergangenen Jahre waren. Die Hälfte der Investment Grade-Kredite trägt derzeit ein Triple-B-Rating. In der nächsten Rezession werden sie auf Junk heruntergestuft. Es wird zu einem Ausverkauf kommen, weil viele Investoren aus regulatorischen Gründen gezwungen sein werden, die Papiere zu verkaufen. Die Kreditbedingungen werden immer laxer. Wir sind da, wo wir vor der letzten großen Krise waren: Covenant Lite-Bonds sind im Markt wieder verbreitet. Covenant Lite ist nur eine andere Art zu sagen, dass eine Partei die andere nicht in der Art zurückzahlt, wie es der andere erwartet. Anscheinend haben wir nichts gelernt. Wir machen wieder die gleichen Fehler. High Yield-Bonds und Anleihen von hoch verschuldeten Unternehmen werden das Subprime der nächsten Krise sein.

leitwolf: Haben Investoren eine Ahnung, dass die nächste große Krise droht?

John Mauldin: Die meisten Investoren haben weder Gefühl noch Verständnis für das Wasser, in dem sie schwimmen. Sie haben sich an passives Investieren, niedrige Gebühren und geringe Volatilität gewöhnt. Das Wasser, in dem wir uns derzeit bewegen, ist geprägt vom Glauben der Investoren, dass Zentralbanken und Regierungen alles tun werden, um die Kontrolle zu behalten. Das hat 2008 und 2009 funktioniert. Investoren haben keinerlei Glauben an sich. Sie sind nicht der Überzeugung, dass sie selbst etwas ändern können. In den vergangenen Jahren haben wir enorme Schulden angehäuft, die wir nicht zurückzahlen können. Spätestens Mitte der 2020er-Jahre werden wir diesen Tatsachen ins Auge blicken müssen.

leitwolf: Wie sollten sich Investoren auf Ihr Szenario eines „Great Reset“ vorbereiten?

John Mauldin: Investoren sollten ihre Schwellenländeranleihen verkaufen, ihre Cashposition halten und in der nächsten Rezession ihr Geld in notleidende Kredite und ähnlich opportunistische Fonds stecken. Diese Fonds werden voraussichtlich in den nächsten drei bis vier Jahren eine Rendite von 15 bis 20 % erzielen. Außerdem sollten sich Aktieninvestoren fragen, warum sie ein bestimmtes Unternehmen in ihrem Portfolio haben. Es ist an der Zeit, aktiv Aktien auszuwählen, statt einen Index zu kaufen. Im Jahr 2020 werden wir eine Rückkehr des aktiven Managements erleben.

„Im Jahr 2020 werden wir eine Rückkehr des aktiven Managements erleben.“

leitwolf: Sollten Investoren sich aus dem Markt zurückziehen?

John Mauldin: Das sollten sie nicht. Sie sollten vielmehr am Marktgeschehen teilnehmen, während sie gleichzeitig in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ein Schutzsystem aufbauen. Sie sollten ihre Handelsstrategien diversifizieren, mehr Risikoparameter sowie Absicherungen aufbauen. Sie sollten Grenzen definieren, wann sie Aktien verkaufen oder Optionen kaufen wollen. Sie sollten sich absichern gegen einen Kursverfall um 50 bis 60 % mit gleichzeitiger Korrelation von Asset-Klassen. Auch wenn das drastisch klingen mag, diese Größenordnung von Verlusten war in etlichen Märkten und Indizes während beider Krisen, 2000 und 2008, zu beobachten. Für mich gibt es keinen Grund, warum sich das so nicht wiederholen sollte.

leitwolf: Vorhin haben Sie kurz Ihre Vermarktungskooperation mit CMG für ein Anlageprodukt erwähnt. Was verbirgt sich hinter der „CMG Mauldin Smart Core Strategy“?

John Mauldin: Das Produkt von CMG setzt das um, was ich empfehle: Handelsstrategien diversifizieren. „Smart Core“ ist ein opportunistisches Multi-ETF-Portfolio, das stark auf niedrige Volatilität und Verlustminimierung setzt. Für die Zukunft ist es meiner Meinung nach falsch, über Asset-Klassen zu diversifizieren. So diversifiziert man nur seine Verluste. Viel besser ist es, für diese verschiedenen Asset-Klassen Handelsstrategien zu kombinieren. Die „Smart Core Strategy“ richtet sich an Anleger mit einem überschaubaren Nettovermögen. Institutionelle Investoren können das Gleiche mit opportunistischen Hedgefonds und ähnlichen Vehikeln nachbilden.

leitwolf: Beherzigen Sie Ihre eigenen Empfehlungen, wenn es um Ihr persönliches Vermögen geht?

John Mauldin: Rund 30 % meines Vermögens ist in meiner „CMG Mauldin Smart Core Strategy“ investiert, die meine Standardanlage darstellt. Weitere 30 % stecken in einem breit gestreuten Portfolio aus Hedgefonds. Dazu kommen noch einige Investments in Wagniskapital – mit mehr Biotech, als ich einem meiner Kunden erlauben würde. Ich glaube ganz fest daran, dass sich Biotechnologie zu unserer nächsten wirklich umwälzenden Technologie entwickelt. Krebs, Alzheimer und Herzkrankheiten werden künftig geheilt. In den nächsten 15 Jahren werden wir in der Lage sein, den menschlichen Alterungsprozess umzudrehen. Ich selbst bin an AgeX Therapeutics beteiligt. Ich sitze auch im Board dieses Unternehmens, das neue Heilmittel und Therapien für Menschen im Alter entwickeln will.

leitwolf: Besitzen Sie auch konventionelle Vermögensanlagen wie Gold?

John Mauldin: Ja, ich habe in der Tat etwas Gold in einem Bankfach liegen. Ich wünsche mir inständig, dass dieses Gold seinen Wert komplett verliert. Das würde nämlich bedeuten, dass alles andere dann funktioniert hat. Wenn ich auf mein Gold zurückgreifen muss, wäre das ein sehr schlechtes Zeichen.

leitwolf: Herr Mauldin, vielen Dank für das Gespräch.

Produktiv und gut vernetzt

Schon früh hat John Mauldin mit dem Schreiben begonnen. Zuerst als ein Redakteur der Schüler- und Unizeitung, später dann als vollberuflicher, selbstständiger Autor. Über all die Jahre hat der Texaner es geschafft, seinen Namen zu einer Marke zu machen. Sein wöchentlicher Newsletter „Thoughts from the Frontline“ ist Investoren in der ganzen Welt ein Begriff. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, von denen es einige auf die Bestsellerliste der „New York Times“ geschafft haben. Derzeit schreibt der Fan von Science-Fiction-Romanen an seinem achten Buch: Zusammen mit einigen Co-Autoren will Mauldin darstellen, wie die Welt in 20 Jahren nach den sich heute abzeichnenden Technologieumbrüchen aussieht. Außerdem hat er „The Mauldin Circle“ gegründet – ein, wie er sagt, „freies Angebot, das zugelassene Investoren in ein exklusives Netzwerk von Vermögensverwaltern und Experten für alternative Anlagen einführt“. Seit 2018 tritt Mauldin bei der CMG Capital Management Group als Co-Portfolio-Manager auf und berät dort sein Anlageprodukt „CMG Mauldin Smart Core Strategy“.

John Mauldin hat sein ganzes Leben in Texas verbracht. Erst vor Kurzem ist er nach Puerto Rico gezogen. Der 69-jährige Amerikaner wuchs im Westen von Texas auf und zog als Teenager mit seiner Familie nach Dallas. Nach seinem Bachelor in Politik, VWL und Geschichte machte er seinen Master of Divinity, einen praxisbezogenen Studienabschluss im Fach Theologie. Mauldin ist einer der Gründer von „Adopting Children Together“ und Republikaner. Er ist Vater von acht Kindern, fünf davon hat er adoptiert.

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